Denn unser Kampf richtet sich nicht gegen Wesen von Fleisch und Blut, sondern gegen die Mächte und Gewalten der Finsternis, die über die Erde herrschen, gegen das Heer der Geister in der unsichtbaren Welt, die hinter allem Bösen stehen.
Epheser 6,12
Ich habe diesen Vers selten so gut verstanden, wie in dem Moment, als wir die Kolonie betreten haben. Dieses beklemmende Gefühl. Als ob du in ein finsteres Tal hineinfährst. Dieser Augenblick in dem du eine Schwelle übertrittst und merkst, hier ist irgendetwas anders. Ob du nun an das Übernatürliche glaubst oder nicht, so mag ich doch behaupten, wir alle kennen dieses beklemmende Gefühl. Manchmal bei Menschen oder sogar Menschengruppen. Manchmal in einem Raum oder auf einer Veranstaltung.
Gott hat uns eine tiefe Liebe zu den Mennoniten geschenkt, die doch auch teil unserer Geschichte sind. Also liebst du die Menschen, aber nicht den Geist, der dort am Werk ist.
Wir fahren erstmal 30km Erdstraße. Die Kolonie ist völlig abgelegen mitten im Nirgendwo. Aber genau dass wollen sie. Abgeschottet von der Welt leben. Was erstmal sehr idyllisch aussieht, verliert schnell seinen Charme, als wir näher kommen. Es ist Feiertag, aber niemand feiert hier, zumindest so ausgelassen, wie wir es kennen. Wir sehen nur selten kleine Kinder auf den Straßen oder auf den Höfen. Kein Lachen, keine Musik … nichts! Da die Regeln besagen, dass z.B. Ballspiele, Kartenspiele, Musik weitere Medien und Fahrzeuge, die keinen agrartechnischen Nutzen haben, Sünde sind, treibt die Langeweile und die religiöse Gesetzlichkeit die Jugend in die Arme von Alkohol, Gewalt und sexuellen Ausschweifungen. Ihre Reaktion darauf: „Trotzen“. Dieses Wort ist plattdeutsch und bedeutet so viel wie ärgern, sich auflehnen, mobben. Sie lehnen sich gegen die Regeln der Erwachsenen bzw. kirchlichen Oberhäupter auf und mobben sich viel untereinander. Durch all die Regeln und Gesetze macht sich ein großer Frust und ein Gefühl der ständigen Unzulänglichkeit breit, denn es scheint fast unmöglich, all das einzuhalten.
Kaum in der Kolonie angekommen, begegnet uns schon die erste Gruppe von Jungen. Sie sind neugierig. Autos sehen sie hier nicht jeden Tag. Hier in der Kolonie fahren die Altkolonier mit Kutschen ( Buggys), denn Autos sind Sünde. Sie fahren zwar mit Autos mit, aber die werden von Bolivianern gesteuert, die ihrer Meinung nach eh in die Hölle kommen. Es wirkt heuchlerisch. Was hat das mit der Liebe Gottes zu tun und damit, dass Jesus FÜR ALLE ans Kreuz gegangen ist? Diese Kolonie wirkt wie eine Enklave mit eigenen Gesetzen mitten in einem anderen Land. Zurück zu den Jugendlichen. Es ist Ostermontag und wir teilen ihnen mit, das wir Geschenke für sie haben und gerne mit ihnen Gemeinschaft hätten. Wir fahren etwas weiter und suchen uns eine Stelle im Schatten unter ein paar Bäumen, um der warmen Mittagssonne zu entfliehen. Die Jungs – etwa 12 an der Zahl – folgen uns. Ein paar von uns fahren durch die Kolonie, um noch mehr Jugendlichen Bescheid zu geben und sie in ihrem PickUp mitzunehmen.
Allerdings haben wir damit auch viel Aufsehen erregt. Während ein Teil von uns sich schon mit der ersten Gruppe unterhalten, treffen ein paar von uns auf Skepsis und Wut. Als sie die Straße entlang fuhren, haben sie Kinder und Jugendliche angetroffen, die von ihren Eltern zurückgerufen wurden: „Lauft weg, das sind böse Menschen. Die wollen euch aus der Kolonie entführen.“ Andere Jugendliche beschädigten die Autos leicht und warfen mit Steinen. Derweil redete der andere Teil von uns in aller Seelenruhe mit der ersten Gruppe, die schon unter den Schattenbäumen Platz genommen haben. Es war sehr interessant von ihrem Leben zu erfahren. Die meisten von ihnen hatten diese Kolonie noch nie verlassen. Sie waren zwischen 15-18 Jahren alt. Wir hatten ihnen kleine Hefte mitgebracht und Schokolade. Auf die Frage ob sie Plattdeutsch lesen können, antworteten sie mit „nein“. Sie lesen nur Hochdeutsch. „Aber könnt ihr das denn richtig verstehen“, fragten wir sie? Auch hier lautet die Antwort „nein“. Es scheint so, als ob die Koloniebewohner extra in Unwissenheit gelassen werden. Zu viel wissen, ist dann wohl auch Sünde. Wie traurig. Man kann sehen, dass diese Jungs berührt sind von unseren Lebensberichten und der Liebe Jesu. Sie schauen so gleich in die Traktate rein und merken, dass sie es doch lesen können; das Plattdeutsche, ihre Muttersprache! Doch dann kommt eine Kutsche mit Vätern vorbei und die Gruppe der Jungs löst sich binnen Sekunden auf. Sie verstecken ihre Geschenke in den Büschen (vermutlich um sie später zu holen) und versuchen unbemerkt zu entkommen. Die Väter sind ruhig aber bestimmend, „wir sollen doch bitte die Kolonie verlassen“, da wir Unruhe bringen. Sie würden uns in Ruhe lassen, wenn wir die Kolonie verlassen würden und bitten uns, dass wir auch sie in Ruhe lassen. Wir reden alle ruhig und respektvoll miteinander. Sie wollen aus ihrer Sicht, „nur das Beste für ihre Jungs!“ Sie empfinden uns als Gefahr. Das können wir verstehen. Wir versichern ihnen, dass wir keine bösen Absichten haben und dass wir aufgrund unseres gemeinsamen Glaubens hier sind. Es ist Ostern und die Liebe Gottes treibt uns, die Geschichte vom Opfertod Jesu an sie weiterzugeben. Wir verlassen die Kolonie. Mit vielen neuen Eindrücken.